Janine Berg-Peer/ Juli 1, 2020/ Alle Artikel, Angehörige, Empfehlungen/ 0Kommentare

Körperliche Symtome bei Depression und bipolarer Erkrankung

Auch wenn wir Angehörige nach einiger Zeit etwas darüber wissen, welche psychischen Symptome sich bei einer Depression zeigen (können), dann bedeutet das noch lange nicht, dass wir wissen, welche körperliche Symptome bei diesen Krankheiten auftauchen können und wie sie sich anfühlen oder anfühlen können. Ich glaube aber, das das wichtig ist, mehr zu wissen, wenn wir unsere Angehörige oder Freunde in ihren Krisen und im Alltag unterstützen wollen. Daher fand ich diesen Artikel, der auf der Webseite „The Mighty“ erschienen ist, soweit richtig und gut, dass ich ihn hier übersetzt habe. The Mighty ist eine Web-Community, die sich selbst so beschreibt: „Wir sind hier für Sie.The Mighty ist eine sichere und unterstützende Gemeinschaft für Menschen, die psychische Probleme haben und für die Menschen, die sie unterstützen.

Mir hat es geholfen, mehr darüber zu wissen, denn es gibt Symptome, von denen ich nicht wusste, dass sie auch zur Erkrankung gehören können. Vielleicht habe ich wegen dieser Symptome auch meine Tochter manchmal kritisiert. Jetzt tut es mir leid.

Gerade hat mich meine Tochter angerufen und mir etwas zu dem Text gesagt: „Nicht nur ihr wisst vieles von diesen physischen Symptomen nicht, wir wissen das auch nicht immer. Ich frage mich oft, ob ich einfach müde bin oder ob es wegen der Tabletten ist oder ob es eben einfach zur Krankheit gehört. Essen wir so viel, weil wir einfach gierig sind, oder liegt es auch an der Manie? Muss ich manchmal etwas länger überlegen, weil ich blöd bin, oder liegt es an der Krankheit, dass mir viele Gedanken gleichzeitig kommen und ich erst mal etwas sortieren muss? Auch für uns ist es gut zu wissen, dass manches zur Krankheit gehört und wir daher nicht immer an uns selbst zweifeln sollten.“

Körperliche Symtome bei Depression und bipolarer Erkrankung

Weil eine bipolare Erkrankung als eine vor allem psychische Erkrankung angesehen wird, konzentrieren wir uns oft darauf, wie die Ups and Downs in manischen und depressiven Episoden sein können. Häufig wird darüber geredet, welche Warnzeichen und Symptome bei bipolaren Erkrankungen vorkommen, aber weniger wird darüber informiert, wie sich die Betroffenen in diesen Phasen körperlich fühlen können n diesen Phasen. Aber die Symptome einer Depression oder einer bipolaren Erkrankung können sich ebenso  psychisch wie physisch darstellen. Und manchmal überschneiden sich diese unterschiedlichen Symptome auch. Deshalb hat The Mighty  Menschen aus ihrer Mental Health Community gefragt,  welche
physischen Symptome sie in Krisenzeiten bei einer Depression oder einer bipolaren Erkrankung erfahren haben. The Mighty hält es für wichtig, auch darüber Bescheid zu wissen, 
wenn wir ein wirkliches Verständnis für unsere Angehörigen oder Freunde entwickeln wollen. Das hier ist keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern es sind die Antworten von Betroffenen, die sich dazu äußern wollten

Körperliche Symtome bei Depression und bipolarer Erkrankung

Im folgenden also die Aussagen der Befragten (Ich bitte um Verständnis, dass meine Übersetzung nicht 100% gut ist, manchmal musste ich mich etwas merkwürdig ausdrücken, um den Aussagen gerecht zu werden):

1. Gedächtnisverlust: Ich habe in einer manischen Episode Dinge getan, an die ich mich später nicht mehr erinnere, und oft habe ich mich gewundert, warum ich mich
plötzlich an einem bestimmten Ort befinde.

2. Akathisie (Allgemeine motorische Unruhe): Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer Vorlesung und werden plötzlich fürchterlich unruhig, können nicht mehr still sitzen und fangen an, mit einem Bein hin und her zu wackeln. Und jetzt stellen Sie sich weiter vor, Sie werden so aufgeregt, dass sie ihren ganzen Körper schütteln müssen, um dieses unangenehme Gefühl wegzubekommen. Das geht nicht nur für eine Stunde so, sondern oft für viele Stunden, manchmal tagelang.
Es fühlt sich an, als ob ich in meiner eigenen Haut gefangen bin, und der einzige Weg, dieses Gefühl wegzukriegen wäre, dass man die Haut abzieht.

Körperliche Symtome bei Depression und bipolarer Erkrankung

3. Schlafstörung: Ganz schlimm, wenn man nicht schlafen kann, wenn man in der Hypomanie ist und auch nicht genug Schlaf kriegt, wenn man depressiv ist. Meine Energielevel sind dann einfach sehr durcheinander. Man verliert seinen Appetit und verhungert oder man isst einfach viel zu viel. Der Körper tut weh und es fühlt sich manchmal an, als ob du aus deiner eigenen Haut herausplatzt.

4. Wechselnde Energielevel: Meine Energielevel wechseln dramatisch. Wenn ich hypomanisch bin, dann kann ich den ganzen Tag aufbleiben und viele verschiedene Dinge tun, aber wenn ich depressiv bin, dann habe ich nicht einmal die Energie, um irgendwann überhaupt aus dem Bett aufzustehen.

5. Ungeschicklichkeit: Wenn ich zu aufgeregt bin, dann bewege ich mich zu schnell
und lasse vieles fallen, stoße gegen Schränke und Türen, ohne dass ich das möchte, oder ich stolpere plötzlich einfach über den Fußboden. Wenn ich ganz besonders ungeschickt werde, dann weiß ich, dass ich alles langsamer angehen muss oder ich werde total manisch.

Körperliche Symtome bei Depression und bipolarer Erkrankung

6. Erschöpfung: Stellen Sie sich vor Sie wollen 1 Million Meilen in der Stunde gehen,
aber ihr Körper ist einfach so erschöpft, dass sie sich überhaupt nicht bewegen können
. Es fühlt sich wie ein Marathon an: Einfach auch nur den Arm hochzunehmen, um das Haar zu kämmen – wenn man überhaupt soweit kommt an diesem Tag -, ist eine ungeheure Anstrengung.

7. Gereiztheit:  Meine Gereiztheit tut sogar physisch weh. Ich habe das Gefühl, dass ich mein Gehirn gegen mein Kopf pulsierenden fühle und das tut weh. Meine Glieder fangen an zu prickeln und mein Herz fängt ab und zu plötzlich an, schneller zu
schlagen. Das ist fast genau so erschöpfend wie eine anhaltende und totale  Angstattacke, wenn ich in dieser gereizten Stimmung bin.

8. Krämpfe:  Meine Schultern und der ganze Rücken verknoten sich, weil ich die ganze Zeit so angespannt bin. Manche Knoten in meinem Rücken haben die Größe eines Golfballes. Und ich bekomme auch Muskelkrämpfe. Ich wünschte, ich könnte es mir leisten, regelmäßige Massagen zu bekommen. Ich fühle mich nie entspannt und das beeinträchtigt auch meine Körperhaltung.

9. Unfähigkeit zu reden:  Manchmal kann ich einfach nicht reden. Ich denke zwar,  dass ich vollständige Sätze formuliere, wenn ich diese Angstgefühle habe, die mit meiner bipolaren Erkrankung einhergehen. Aber andere Menschen sagen mir, dass bloß ein paar „Hms“ und „Ähms“ herauskommen und dass ich dann habe auch wieder vergessen habe, was ich sagen wollte.

10.  Ein kribbelndes Gefühl:  So ein merkwürdig unruhiges Gefühl an meinem ganzen Körper und dann das endlose Kribbeln in meinem Magen während einer manischen Episode. Ich habe das Gefühl,
dass ich für stundenlang laufen könnte,  aber ich könnte mich  auch übergeben. Ausserdem macht das natürlich das Schlafen unmöglich.

11. Gewichtszunahme:  Ich esse zu viel und kann auch kein Sport machen, wenn ich depressiv bin. Dann bleibe ich zu spät auf und werde super hungrig, wenn ich manisch bin. Ich kann mich nicht darum kümmern, dass ich physisch fit werde,  wenn ich doch meine ganze meine Energie dafür brauche, um physisch fit zu bleiben.

 

 

Körperliche Symtome bei Depression und bipolarer Erkrankung

12. Trennung von Körper und Geist: Es fühlt sich an als ob dein Körper und dein Geist sich irgendwie voneinander trennen. Zum Beispiel wenn du in einer depressiven Episode bist und nicht aus dem Bett gehen kannst, dann treibt dein Gehirn dich an und möchte dich zwingen, aufzustehen, aber dein Körper hört einfach nicht zu. Und dann während einer manischen Episode, dann schreit dein Körper danach, dass du ihm Ruhe gibst, aber dein Gehirn sagt nein, wir müssen jetzt sofort alles fertigkriegen. Wir müssen den ganzen Raum umräumen bis 1:00 Uhr am Morgen, so dass wir dann noch die Zeit haben, um ein ganzes Notebook fertig zu kriegen und außerdem zwei Bücher zu lesen, bevor die Sonne aufgeht.

13. An den Haaren ziehen: Wenn ich Angstattacken habe und auch hypomanisch bin, dann fange ich an, an meinen Haare zu ziehen (ich reiße sie aber nicht raus). Ich verbiege auch meine Knöchel und Handgelenke, oft ohne dass ich das überhaupt merke.

14. Mit mir selbst sprechen: Ich spreche laut mit mir selbst, wenn ich manisch bin. Es gibt dann so viele rasende Gedanken in meinem Kopf und auch Stress über bestimmte Dinge in meinem Leben, dass ich gedanklich diese stressigen Situationen immer wieder durchgehe und überlege, wie ich diese Situationen anders bewältigen könnte. Aber ich denke nicht nur an diese Situationen, sondern ich sage sie mir auch laut: Im Auto, unter der Dusche und so weiter. Ich beobachte mich dabei selbst und hoffe, dass wirklich niemand sonst mich gehört hat. Es ist einfach so, dass da so viele rasende Gedanken in meinem Kopf sind, dass ich es nicht verhindern kann, dass diese Gedanken dann auch auch meinem Mund herausfließen.

15: Hautprobleme: Wenn ich ein ungefähr 1 Million Meilen in der Stunde rase und auch nicht schlafe, dann werde ich so angefüllt mit Stresshormonen, dass meine Haut das dann alles abkriegt. Das ist genau so in einer Depression. Wenn ich dann wieder aus der Krise wieder raus bin, dann wird meine Haut wieder schön, aber das dauert auch nur bis zur nächsten Episode.

16. Magen-Darm-Probleme: Die sind für mich ganz normal. Ich musste sogar eine Notfalloperation an der Gallenblase haben und trotzdem habe ich diese Probleme immer noch.

17. Blackouts. Wenn die Wut einsetzt, dann bekomme ich oft einen Blackout und erinnere mich nicht mehr an alles, was ich sage oder tue. Manchmal kriege ich auch fürchterliche Kopfschmerzen von dieser wahnsinnigen Wut oder dem Adrenalin, was dann in mir hochschießt. Ich werde auch entsetzlich erschöpft, obwohl ich physisch überhaupt nichts getan habe. Mein Gehirn erschöpft mich einfach.

18. Taktile und auditorische Halluzinationen: Ich habe dann das Gefühl, dass Dinge über mich krabbeln, oder dass Menschen oder Dinge an mir vorbeistreifen, mich berühren, obwohl sie gar nicht da sind. Ich kann auch mein Körper nicht stillhalten und habe in den Muskeln Spasmen, ohne dass der Schmerz wie bei der körperlichen Unruhe (Akathisie) auftritt. Dann habe ich auch Gedächtnisverlust und oft einen Gedankennebel. Ich laufe oder renne ständig gegen Gegenstände, habe Knoten in meinem Rücken, die schmerzen, und ganz harte Muskeln in meinem Rücken, meiner Schulter und meinem Hals. Manchmal habe ich sogar einen steife und auch schmerzenden Kiefer, weil ich meinen Mund so fest so zusammenpresse und auch mit den Zähnen knirsche. Ich kann manchmal nicht atmen und habe auch auditorische Halluzinationen (Ich höre Stimmen). Meistens sind es keine spezifische Wörter, die ich erinnern kann, es ist mehr wie ein Geschrei. Dann habe ich noch Klaustrophobie und hyperventiliere in meinen Angstphasen und auch in den manischen Episoden.

19. Stottern. Manchmal ist es mit dem Stottern so schlimm, dass ich meine Sätze gar nicht fertig sprechen kann, und deswegen höre ich dann einfach auf zu sprechen und sage „ach egal“ und geh weg. Das ist einfacher, als wenn mir das mit dem Stottern immer so peinlich ist.

20. Herzklopfen: Ich fühle mein Herz in meinem ganzen Körper schlagen. Es fühlt sich an, als ob ich extrem schnell rase,  obwohl ich vollkommen still dasitze.

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

Hinterlasse eine Kommentar