Janine Berg-Peer/ Januar 29, 2013/ Alle Artikel, Angehörige/ 0Kommentare

05_AngehoerigeWenn ein Mensch psychisch erkrankt, betrifft das nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Angehörigen,

zumeist die Eltern, oft auch Geschwister oder die Kinder. Die Belastungen für sie sind vielfach: Nicht nur müssen sie zunächst mit dem Schock umgehen, das eigene Kind oder die Eltern mit einer rätselhaften und das Leben erheblich beeinträchtigen Krankheit kämpfen zu sehen. Gerade Eltern leiden darunter, dass viele der Kranken sich weigern, medikamentöse oder therapeutische Hilfe anzunehmen. Viele verhalten sich den Eltern gegenüber feindselig, machen Schulden, können  ihre Arbeit nicht behalten  oder fallen aus dem Ausbildungssystem heraus. Sehr viele haben Schwierigkeiten, ihren Alltag selbst zu organisieren, einzukaufen, zu kochen oder ihre Wohnung in Ordnung zu halten, was auch ein Grund dafür ist, dass Viele jahrelang noch bei den Eltern wohnen.

Unterstützung im Alltag liegt bei Angehörigen

Wenn es auch inzwischen mehr Möglichkeiten gibt, psychisch Kranke medikamentös zu helfen oder sie durch Psychotherapie zu unterstützen, liegt doch häufig die ganze Sorge nach wie vor bei den Angehörigen. Psychiater sehen ihre Patienten oft nur einmal alle sechs Wochen für zwanzig bis dreißig Minuten, ein Therapeut sieht seinen Patienten einmal die Woche für 45 Minuten. Wer kümmert sich um den psychisch Kranken in der Zwischenzeit? Angehörige betreuen ihre Kinder täglich viele Stunden – selbstverständlich unentgeltlich. Oft zahlen sie noch zu: Sie verpflegen ihre Kinder, kümmern sich um Kleidung und helfen in der Wohnung, wenn die Betroffenen in einer eigenen Wohnung leben können. Oft kümmern wir uns um Behördengänge und anderen bürokratische Themen, die den psychisch Kranken schwerfallen oder vor denen sie Angst haben.

Angehörige als unbezahlte Hilfstherapeuten entlasten das Gesundheitssystem

Und es bleibt nicht bei der praktischen Unterstützung. Viele Stunden täglich oder bei vielen Anrufen  am Tag „coachen“ wir unsere erkrankten Angehörigen. Sie fühlen sich oft unsicher, brauchen unseren Rat, wenn es zu Konflikten kommt, müssen getröstet werden, wenn jemand unfreundlich zu ihnen war, wenn ihnen etwas nicht gelungen ist oder wenn sie sich einfach schlecht fühlen. Manches Mal müssen wir auch verhindern, dass falsche Entscheidungen getroffen werden. Viele Angehörigen müssen ihren Job aufgeben oder früher in Rente gehen, damit sie voll für ihr erkranktes Familienmitglied da sein können.

Angehörige leisten wichtige Arbeit, werden aber nicht als Kooperationspartner anerkannt

Das alles tun wir und wir tun es gern, wenn wir sehen, wie unsere Erkrankten leiden. Und vor allem, wenn wir sehen, dass unser Alltagsscoaching den Kranken auch dabei hilft, besser mit dem Leben zurecht zu kommen. Nur werden wir von den professionellen Partnern des Gesundheitssystems nicht anerkannt oder gewürdigt. Man spricht nicht mit uns, informiert uns nicht über Therapien oder gar Therapieziele. Uns wird der Rat gegeben, wir sollten uns doch „lösen“, den Kranken mehr Vertrauen schenken, ihnen etwas zutrauen.

Das würden wir gern tun, aber zu häufig haben wir zusehen müssen, wie die Kranken ohne unsere Unterstützung und ohne irgendeine Hilfe aus dem System – außer dem Besuch beim Psychiater und beim Therapeuten – sich von allem zurückziehen, bis die Krankheit wieder eskaliert und oft – leider – eine Zwangsweisung erforderlich wird. Sie wären oft nicht notwendig, wenn sie frühzeitig jemand regelmäßig um die Kranken kümmern würde. Es stimmt, es können nicht immer die Angehörigen sein. Wir sind di ersten, die das einsehen würden, aber wer soll es sonst tun? Ich hoffe sehr, dass sich etwas ändern wird.

Es gibt noch sehr viel Nachhol- und Umdenkbedarf im Gesundheitssystem

 

Bildnachweis: © chocolat01 / pixelio

 

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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