Wenn ein Mensch psychisch erkrankt, betrifft das nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Angehörigen,
zumeist die Eltern, oft auch Geschwister oder die Kinder. Die Belastungen für sie sind vielfach: Nicht nur müssen sie zunächst mit dem Schock umgehen, das eigene Kind oder die Eltern mit einer rätselhaften und das Leben erheblich beeinträchtigen Krankheit kämpfen zu sehen. Gerade Eltern leiden darunter, dass viele der Kranken sich weigern, medikamentöse oder therapeutische Hilfe anzunehmen. Viele verhalten sich den Eltern gegenüber feindselig, machen Schulden, können ihre Arbeit nicht behalten oder fallen aus dem Ausbildungssystem heraus. Sehr viele haben Schwierigkeiten, ihren Alltag selbst zu organisieren, einzukaufen, zu kochen oder ihre Wohnung in Ordnung zu halten, was auch ein Grund dafür ist, dass Viele jahrelang noch bei den Eltern wohnen.
Unterstützung im Alltag liegt bei Angehörigen
Wenn es auch inzwischen mehr Möglichkeiten gibt, psychisch Kranke medikamentös zu helfen oder sie durch Psychotherapie zu unterstützen, liegt doch häufig die ganze Sorge nach wie vor bei den Angehörigen. Psychiater sehen ihre Patienten oft nur einmal alle sechs Wochen für zwanzig bis dreißig Minuten, ein Therapeut sieht seinen Patienten einmal die Woche für 45 Minuten. Wer kümmert sich um den psychisch Kranken in der Zwischenzeit? Angehörige betreuen ihre Kinder täglich viele Stunden – selbstverständlich unentgeltlich. Oft zahlen sie noch zu: Sie verpflegen ihre Kinder, kümmern sich um Kleidung und helfen in der Wohnung, wenn die Betroffenen in einer eigenen Wohnung leben können. Oft kümmern wir uns um Behördengänge und anderen bürokratische Themen, die den psychisch Kranken schwerfallen oder vor denen sie Angst haben.
Angehörige als unbezahlte Hilfstherapeuten entlasten das Gesundheitssystem
Und es bleibt nicht bei der praktischen Unterstützung. Viele Stunden täglich oder bei vielen Anrufen am Tag „coachen“ wir unsere erkrankten Angehörigen. Sie fühlen sich oft unsicher, brauchen unseren Rat, wenn es zu Konflikten kommt, müssen getröstet werden, wenn jemand unfreundlich zu ihnen war, wenn ihnen etwas nicht gelungen ist oder wenn sie sich einfach schlecht fühlen. Manches Mal müssen wir auch verhindern, dass falsche Entscheidungen getroffen werden. Viele Angehörigen müssen ihren Job aufgeben oder früher in Rente gehen, damit sie voll für ihr erkranktes Familienmitglied da sein können.
Angehörige leisten wichtige Arbeit, werden aber nicht als Kooperationspartner anerkannt
Das alles tun wir und wir tun es gern, wenn wir sehen, wie unsere Erkrankten leiden. Und vor allem, wenn wir sehen, dass unser Alltagsscoaching den Kranken auch dabei hilft, besser mit dem Leben zurecht zu kommen. Nur werden wir von den professionellen Partnern des Gesundheitssystems nicht anerkannt oder gewürdigt. Man spricht nicht mit uns, informiert uns nicht über Therapien oder gar Therapieziele. Uns wird der Rat gegeben, wir sollten uns doch „lösen“, den Kranken mehr Vertrauen schenken, ihnen etwas zutrauen.
Das würden wir gern tun, aber zu häufig haben wir zusehen müssen, wie die Kranken ohne unsere Unterstützung und ohne irgendeine Hilfe aus dem System – außer dem Besuch beim Psychiater und beim Therapeuten – sich von allem zurückziehen, bis die Krankheit wieder eskaliert und oft – leider – eine Zwangsweisung erforderlich wird. Sie wären oft nicht notwendig, wenn sie frühzeitig jemand regelmäßig um die Kranken kümmern würde. Es stimmt, es können nicht immer die Angehörigen sein. Wir sind di ersten, die das einsehen würden, aber wer soll es sonst tun? Ich hoffe sehr, dass sich etwas ändern wird.
Es gibt noch sehr viel Nachhol- und Umdenkbedarf im Gesundheitssystem
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