Mein Vortrag auf der Tagung „Arbeit für psychisch Kranke“, organisiert von Gesundheitsstadt Berlin und der DGPPN am 8.1.2014 in Berlin.
Arbeit für psychisch Kranke: Mehr Ermutigung und Information!
Arbeit für Menschen mit psychiatrischer Krankheitserfahrung – Die Sicht einer Angehörigen und Karriereberaterin
Heute haben wir gehört, dass Arbeit für Menschen mit psychiatrischer Krankheitserfahrung äußerst wichtig ist. Arbeit fördert nicht nur Selbstbewusstsein und bringt Geld, sondern fördert die Gesundung. Wir haben auch gehört, dass es ermutigende Erfahrungen mit Supported Employment in den USA gibt. Wir haben sogar gehört, dass der Vertreter der Arbeitagentur der Meinung ist, dass Arbeit nicht nur den Krankheitserfahrenen, sondern auch für Arbeitgeber wichtig ist. Nun habe ich mich gefragt, warum man eigentlich wissenschaftliche Untersuchungen machen muss, die belegen, dass Arbeit für Krankheitserfahrene wichtig ist. Psychisch Kranke sind doch normale Menschen, die nur krisenanfälliger sind. Weshalb sollten sie nicht wie alle anderen das Bedürfnis haben, tätig zu sein, soziale Kontakte zu pflegen, bestätigt zu werden und auch Geld zu verdienen? Dennoch freue ich mich, dass dies hier noch einmal betont wurde, denn es gibt immer noch zu viele in der Psychiatrie Tätigen, die an Schonung statt an Ermutigung glauben.
Wir sind uns also einig, Arbeit ist wichtig, auch für die Genesung. Aber das Problem bleibt: Arbeitgeber stellen Menschen mit Krankheitserfahrung nicht ein, sie haben Bedenken oder auch Vorurteile, auf dem geschützten Arbeitsmarkt gibt es zu wenig Arbeitsplätze. Umso größer müssten dann doch die Bemühungen aller sein, die an der Behandlung, Betreuung und Beratung psychisch Kranker beteiligt sind, Betroffene in Arbeit zu bringen. Und dass die Betroffenen selbst Schlange stehen, um einen Job zu finden. Tatsächlich sind meine Erfahrungen mit meiner Tochter, mit anderen Betroffenen und aus Berichten von Angehörigen ganz anders. Professionelle unterstützen Betroffenen dabei gar nicht oder nur mangelhaft, Betroffene klammern sich oft an ihre Rente, aus Angst, sie zu verlieren und nicht wieder zu bekommen und Angehörige wollen ihre Kinder schonen aus Angst vor einem Rückfall. Ich werde heute etwas über die Hürden für Menschen mit Krankheitserfahrung auf dem Weg zum Arbeitsplatz sagen und über die Belastungen am Arbeitsplatz. Ich kann darüber nicht nur etwas aus der Perspektive sagen sondern auch aus meiner 20jährigen Erfahrung als Outplacement- und Karriereberaterin und Coach. Man könnte sagen, ich war JobCoach.
Arbeit für psychisch Kranke: Mehr Ermutigung und Information!
Hürden bei der Arbeitssuche auf dem 1. Arbeitsmarkt: Betroffene haben wenig Kenntnis (mehr) über die Mechanismen auf dem Arbeitsmarkt, sie trauen sich wenig zu. Hinzu kommt die Angst vor dem „Makel“ im Lebenslauf. Wie erkläre ich die lange Auszeit werde ich häufig gefragt, soll ich die Krankheit erwähnen? Betroffene haben häufig eine niedrige Frustrationstoleranz: Sie werden schnell entmutigt bei Misserfolgen, und Misserfolge bleiben bei der Arbeitssuche nicht aus. Oft haben sie eine Tendenz, alles auf sich zu beziehen: Wenn ich abgelehnt werde, dann muss es an mir, meiner Krankheit liegen. Oder sie sehen die „Schuld“ immer außen: Die Welt ist böse, alle stigmatisieren uns, Arbeitgeber haben Vorurteile. Hinzu kommen oft berechtigte Ängste, ob man nach einer Krankheitsphase wieder mit Leistungsstress und Konflikten umgehen soll. Es ist interessant, dass ich bei meinen Klienten, Fach- und Führungskräften, oft ähnliche Ängste und Hürden erkennen konnte. Der „Makel“ ist bei ihnen nicht eine Krankheit, sondern der Arbeitsplatzverlust, das Alter, die Herkunft oder das Geschlecht. Arbeitsplatzsuche ist bei fast allen Menschen angstbesetzt. Es ist verständlich, dass psychisch Kranke es hier besonders schwer haben.
Immer Vorurteile und Stigmatisierung? Ja, es gibt Vorurteile bei Arbeitgebern, es gibt Stigmatisierung, vielleicht ganz besonders gegen Menschen mit Psychiatrieerfahrung. Dagegen müssen wir kämpfen, aber wir müssen zweigleisig vorgehen. Wenn wir darauf warten, dass wir diesen Kampf gewonnen haben, dann werden unsere Kinder in diesem Leben keinen Job mehr bekommen. Wir müssen Betroffenen nicht immer bestätigen, dass es Vorurteile gibt, sondern sie dabei unterstützen, trotz dieser Vorurteile einen Arbeitsplatz zu bekommen.Ein genauer Blick auf die Situation in Unternehmen zeigt, dass es nicht immer nur Vorurteile sei müssen, die einen Personalleiter daran hindern, einen Menschen mit einer psychischen Vorerkrankung einzustellen. Personalentscheidungen sind teuer, falsche Personalentscheidungen noch teurer. Aus meiner Erfahrung mit Personalleitern weiß ich, dass sie daher vor allem an Risikominimierung interessiert sind. Da eine sichere Prognose bei Einstellungen nicht möglich ist, entscheiden sie sich für Personen, bei denen eine gute Entwicklung wahrscheinlich ist. Man stellt also Frauen noch immer nicht gern für Führungspositionen ein, weil es statistisch wahrscheinlich ist, dass sie sich nach dem ersten Kind zurückziehen. Das ist in diesem Fall kein Vorurteil, sondern eine Maßnahme, die ein Risiko ausschließen soll. Das kann die einzelne Frau, die keines falls nach dem ersten Kind aus dem Job fliehen will, dann natürlich diskriminieren. Aber der Personalleiter wäre mit der Einstellung eines Mannes wahrscheinlich auf der sicheren Seite. Es ist auch statistisch wahrscheinlich, dass ein krisenanfälliger Mensch mehr Krankheitszeiten hat oder vielleicht auch eher Schwierigkeiten hat mit dem rauen Ton am Arbeitsplatz als andere Menschen. Daher kann für einen Arbeitgeber das Risiko zu groß sein, einen Betroffenen einstellen. Das ist aber kein Grund für Pessimismus, sonder zeigt, dass unsere Maßnahmen nicht ausschließlich gegen Vorurteile der Arbeitgeber gerichtet sein müssen, sondern dass wir den Arbeitgebern die Sicherheit geben müssen, dass das Risiko kalkulierbar ist, z. B., in dem bei Einstellung eines Betroffenen auch ein JobCoach zur Verfügung steht, der in kritischen Situationen unterstützen kann.
Arbeit für psychisch Kranke: Mehr Ermutigung und Information!
Und im übrigens bin ich überzeugt davon, dass das ständige Reden über Vorurteile und Stigmatisierung für die Betroffenen nicht hilfreich ist, sondern zur Entmutigung führen kann: Jeder Misserfolg wird als Bestätigung dafür sehen, dass es eben nicht geht, weil die Welt böse ist. Und wenn die Welt böse ist, dann kann ich doch auch individuell nichts tun. Und noch eine Anmerkung: Herr Alt von der Bundesagentur für Arbeit wurde zitiert mit den Worten, dass viele psychisch Kranke hochproduktiv und hochintelligent seien und die Arbeitgeber müssten das doch einsehen. Das ist sicher gut gemeint, aber ich halte das für wenig hilfreich. Ich bin der Meinung, dass ganz normal produktive und durchschnittlich intelligente Menschen mit Krankheitserfahrung eine Chance haben müssen. Menschen ohne Krankheitserfahrung sind auch sehr häufig normal produktiv und durchschnittlich intelligent und arbeiten effizient und gut jahrelang in Unternehmen. Weshalb müssen nun ausgerechnet Menschen mit psychischer Krankheitserfahrung dem Stress ausgesetzt sein, besser als andere zu sein?
Belastungen am Arbeitsplatz auf dem 1. Arbeitsmarkt. Nach der Erfahrung mit meiner Tochter ist es der alltägliche Umgang mit anderen Menschen, der für sie oft schwierig war. Ein strenger Blick, eine laute Stimme, die normalen Alltagsreibereien in einem Büro haben ihr zu schaffen gemacht. Die Dünnhäutigkeit von Menschen mit Krankheitserfahrung macht den Arbeitsalltag oft schwierig. Arbeitsalltag kann rücksichtslos und sogar grausam sein, dass wissen auch psychisch stabile Menschen. Und es sind nicht immer nur die bösen Vorgesetzten, sondern oft ist es der Kleinkrieg oder die Rücksichtslosigkeit unter Kollegen, die für unsere sensiblen und dünnhäutigen Angehörigen so schwierig ist. In der Pressemiteilung wurde Herr Alt von der Bundesanstalt für Arbeit zitiert mit der Forderung nach Arbeitsumfeld, das zur Genesung beiträgt. Das ist wieder gut gemeint, aber aus meiner Sicht doch sehr unrealistisch. Es sei denn, man fordert leidensgerechte Arbeitsplätze, wie sie für Behinderte vorgesehen sind. Die Angst vor „Entdeckung ist belastend und macht unsicher. Die äußeren Umstände können belastend sein: Lautstärke, Unruhe, zu viele Menschen in einem Raum. Die Forderung, Arbeit in einer bestimmten Zeit zu erledigen, kann überfordern. Zu große Empfindlichkeit kann zu Schwierigkeiten bei sozialen Konflikten führen. Bei meiner Tochter setzte immer mein Alltagscoaching ein: Mehrfach am Tag und in langen Telefonaten abends musste sie berichten, was ihr widerfahren war und ich habe versucht, einerseits Verständnis für ihren Kummer zu zeigen, es aber auch andererseits in eine richtige Perspektive zu führen. Ich hoffe, dass künftige JobCoaches hier eine Aufgabe für sich sehen. Aber Aufklärung bei Arbeitgebern könnte hier auch helfen. Und man wird feststellen, dass ein besserer Umgang miteinander auch den Gesunden gut tut.
Arbeitsuche auf dem geschützten Arbeitsmarkt: Vor ihren Erfahrungen mit dem psychiatrischen und sozialpsychiatrischen System hat sich meine Tochter ihre Arbeit oder Qualifizierung erfolgreich selbst gesucht. Das hat wunderbar funktioniert, weil niemand sie entmutigt hat. Jetzt hat sie eine Rente, die sie nicht will, die ihr aber aufoktroyiert wurde – eine Erfahrung, die viele Betroffene teilen. Und nun stellt sich heraus, dass die Arbeitssuche auf dem geschützten Arbeitmarkt fast noch schwieriger ist als auf dem 1. Arbeitsmarkt. Jetzt weiß sie, dass es eine Reihe gesetzlicher Hürden gibt, die ihr eine Arbeitsaufnahme erschweren. Aber noch schwerwiegender ist die mangelnde Unterstützung durch das sozialpsychiatrische System.
Hürde 1: Fokussierung auf Krisenvermeidung Obwohl doch angeblich Übereinstimmung herrscht, dass Weiterqualifizierung und Arbeit gut ist für Betroffene, wurde ihr nie geraten, sich doch weiterzubilden oder einen Job zu suchen. Niemand in 14 Jahren empfahl ihr etwas, bei dem sie sich weiter entwickeln konnte. Im Gegenteil, ihr wurde abgeraten. Sie sei zu krank, sie solle sich schonen, vielleicht ein wenig töpfern. Sie solle doch nicht dem Ehrgeiz ihrer Mutter folgen, sondern aufgrund ihrer schweren Erkrankung brauche sie Schonung. Meine Tochter ist aber ihrem eigenen Ehrgeiz gefolgt und hat ihren Realschulabschluss und einen Abschluss bei der IHK als Bürokauffrau gemacht. Mit Rückfällen oder trotz der Rückfälle. Gegen den Rat der Ärzte. Sie hat sich selbst einen Job auf dem 1. Arbeitmarkt gesucht und dort mehrere Jahre gearbeitet, später dann in einem betreuten Projekt und auch das hat ihr Spaß gemacht und Selbstbewusstsein gegeben. Arbeit war und ist immer ihr wichtigstes Ziel, an dem sie festhält, trotz aller Rückschläge und der Ratschläge, sich doch nicht zu viel vorzunehmen. Von ihren Ärzten und Betreuern kam nie eine Ermutigung. Nach 14 Jahren war es ihre wunderbare Soziotherapeutin, die ihr den Rat gab, sich bei einem bestimmten Projekt zu bewerben, das ihr dann auch sehr gut tat. Ich habe den Eindruck, dass viele Professionelle sich vor allem darauf konzentrieren, dass nichts passiert. Ein erneute Krise, ein neuer manischer oder psychotischer Schub muss auf jeden Fall vermieden werden. Aber niemand kann ein gutes Leben führen, das nur darauf konzentriert ist, eine Krise zu vermeiden. Krisen kommen ohnehin. Es kann nicht gut sein, wenn einem 24jährigen jungen Menschen gesagt wird, er soll in Rente gehen und sich von jetzt ab nur schonen. Wir sollten psychisch Kranke ermutigen, sich eine Arbeit zu suchen, wenn es auch nur für weniges Stunden ist. Wir müssen Entwicklung zulassen, Fehler und auch Rückfälle. Psychisch Krankheitserfahrene dürfen genau so scheitern wie alle anderen Menschen auch. Hier sehe ich eine der wichtigsten Aufgaben für alle Professionellen und ganz besonderes für künftige JobCoaches!
Hürde 2: Fehlende Information / Intransparenz der Angebote Eine besonders große Hürde ist die Intransparenz über die Möglichkeiten auf dem geschützten Arbeitsmarkt hier in Berlin. Sich im Dschungel der gesetzlichen Verordnungen und Möglichkeiten auszukennen, ist eine Wissenschaft für sich. Wann immer ich in den letzten 16 Jahren – zufällig – von einer Möglichkeit erfuhr, wurde mir bei näherem Nachfragen erklärt, dass dies in diesem Fall nicht ginge: Das würde nur möglich sein, wenn diese Voraussetzung erfüllt sei, aber nicht jene usw. Immer wenn ich von einem neuen, großartigen Projekt in Berlin höre, auch jetzt von den 500 neuen Arbeitsplätzen, die für psychisch Kranke geschaffen werden sollen, dann frage ich mich sofort, wie kommt diese Information nun an meine Tochter, bzw. an alle psychisch Kranken, die interessiert sind? Und wie können psychisch Kranke, die noch nicht interessiert oder schon entmutigt sind, dafür interessiert werden? Eine Befragung des ApK, die wir 2013 durchgeführt haben, hat meine Erfahrung bestätigt: Erstens wird kaum jemand ermutigt und zweiten gibt es keine Informationen. Kaum jemand bekam Hilfe, und es war nicht nur die Arbeitagentur, von der keine Hilfe kam! Wenn Hilfe kam, war es eine einzelne engagierte Person in Krankenhaus, im SPD oder sogar ein Psychiater. Nirgendwo gab oder gibt es eine systematische Information. Schon die Professionellen scheinen keinen Überblick über alle Angebote zu haben. Vor allem aber Betroffene haben keinen umfassenden Zugang zu den Arbeitsmöglichkeiten auf dem geschützten Arbeitsmarkt. Ich halte es für eine absolute Entmündigung, wenn Krankheitserfahrene kein einfacher und allgemein zugänglicher Weg ermöglicht wird, sich über alle Projekte in der Stadt z.B. im Internet zu informieren. So kann man nicht von Inklusion sprechen. Inklusion kann nicht bedeuten, dass Arbeitsplätze, auf dem geschützten Arbeitsmarkt von Professionellen den Betroffenen zugeteilt werden! Ich lobe ungern die Arbeitsagentur, aber die Online-Stellenbörse der Arbeitsagentur sollte hier ein Vorbild für den geschützten Arbeitsmarkt sein.
Hürde 3: Mangelnde Beratungskompetenz der Beraterinnen Und noch einmal muss ich die Arbeitsagentur in Schutz nehmen: Eine Studie hat ergeben, das die Mitarbeiter/innen der Arbeitsagentur Hartz IV-Empfänger mit psychiatrischer Erfahrung nicht gut beraten. Das kann man ihnen kaum vorwerfen, wenn sie nicht dafür qualifiziert werden. Unsere Erfahrungen im ApK oder auch meine eigenen Erfahrungen zeigen aber, dass viele Berater/innen im sozialpsychiatrischen System ebenfalls nicht gut beraten. Und ihnen kann man das vorwerfen, denn das sind Menschen, die für den Umgang mit psychisch Kranken ausgebildet sind. Bei meiner Tochter kann ich nach 17 Jahren vom Verlust der Arbeitsmotivation durch professionelle Beratung sprechen. Ich habe schon die mangelnde Ermutigung als Hürde erwähnt. Aber darüber hinaus scheinen die dort Zuständigen auch wenig von Beratung zu verstehen. Meine Tochter und – wie ich aus Gesprächen mit anderen Betroffenen weiß – viele Andere gehen entmutigt aus diesen Beratungsgesprächen. So erkundigt sich meine Tochter nach einem Krankenhausaufenthalt hochmotiviert nach einer beruflichen Reha. Mit den Worten „Aufgrund Ihrer Rente ist das vom Gesetzgeber nicht vorgesehen!“ wird sie von entlassen. Die Sozialarbeiterin, die ihr das sagte, hatte vielleicht Recht. Und sie kann auch die Gesetze nicht ändern. (Nach meinem Vortrag meldete sich übrigens ein Herr, der bei den Rentenversicherung arbeitet, und erklärte, dass dies Information falsch sei!) Aber darum geht es nicht. Sie hat aber meiner Tochter keinen anderen Weg oder Umweg oder einen Ersatz aufgezeigt, wie sie ihren Wunsch nach Lernen oder einer Beschäftigung nachgehen könnte. Aber genau das ist die Aufgabe einer guten Beraterin oder eines Coaches: Mut machen, Wege aufzeigen. Meine Tochter ist vollkommen entmutigt von ihr weggegangen. Ein anderer Betroffener, der unbedingt nach einer kürzeren Krankheitsphase wieder arbeiten will, wird nach seinen Medikamenten gefragt und wir dann mit den Worten weggeschickt „Wenn Sie eine so hohe Dosis nehmen, dann können sie überhaupt nicht arbeiten!“ Nun war ich ja davon ausgegangen, dass man Medikamente nimmt, damit man am normalen Leben teilhaben kann und dass die Dosis nicht zum Ausschluss vom Arbeitsmarkt führen kann. Auch dieser junge Mann ging entmutigt davon. Hier müsste ein JobCoach ansetzen und dem Klienten raten, bei dieser medizinischen Stelle immer zu lügen. Bei einer anderen Stelle wurde meine Tochter auf andere Weise entmutigt: Wieder wollte sie unbedingt arbeiten, sie würde auch einen 400 Euro-Job annehmen. Die Antwort der Beraterin war, dass dies doch nicht ginge, weil ihr das Gehalt dann von der Rente abgezogen würde. Meine Tochter war empört. Das sei ihr egal, sie wolle unbedingt arbeiten. Wo bleibt hier de Professionalität der Beraterin? Meine Tochter sucht sich über Arbeit einen Weg zurück ins Leben und ihr wird gesagt, das rechnet sich nicht? Und noch ein Beispiel: Meine Tochter erkundigt sich wieder nach Arbeit bei einer Stelle an Berliner Klinik, die sich um Jobs für Menschen mit Psychiatrieerfahrung kümmert. Die Reaktion des Beraters: „Also so geht das überhaupt nicht. Erst muss ihre Betreuerin einen Antrag stellen und der müsse ihm dann vorliegen und dann könne er sich wieder mit ihr unterhalten und vielleicht etwas für sie tun.“ Sie können sich vorstellen, dass meine Tochter wieder entmutigt aus dieser Beratung kam.
Vielleicht werden Sie jetzt sagen, so müsse das eben laufen. Ich sage Ihnen, dass es so ganz schlecht läuft und dass auf diese Weise den Betroffenen nicht geholfen wird, selbständig ihr Leben zu führen und sich Arbeit zu suchen. Meine Tochter ist natürlich wieder total frustriert. JobCoaches müssen nicht nur über Jobs informieren, sie müssen auch ermutigen. Wenn ein Arbeitssuchender zur Bundesagentur geht, dann ist die Information, dass wir 3 Mio. Arbeitslose haben und dass es daher schwierig wird, eine korrekte Information, aber sicher keine ermutigende Beratung. Wenn meine Tochter bei ihren Versuchen nur mit gesetzlichen Regelungen oder Verfahrenshinweisen konfrontiert wird, dann ist sie frustriert, wird wütend und/oder resigniert. Eine gute Beraterin hat natürlich die Aufgabe, die Realitäten aufzuzeigen, aber sie darf niemals einen Klienten mutlos weggehen lassen. Wenn für meine Tochter eine berufliche Reha wegen der Rente nicht möglich ist, dann muss eine gute Beraterin mit ihr zusammen nach anderen Möglichkeiten suchen, wie sie sich weiterbilden kann. Sie dürfte niemals aus meiner Beratung entmutigt weggehen, sondern mit einer neuen guten Idee, wenn das, was sie ursprünglich wollte, nicht realisierbar ist. Wenn eine bestimmte Arbeit nicht möglich ist, dann müssen andere Optionen gesucht werden. Das können Berater/innen lernen, aber dazu muss man zunächst auch seine Aufgabe so begreifen. Ich hoffe sehr, dass die künftigen JobCoaches ihre Aufgabe genau so sehen werden.
Hürde 4: Mangelnder Realismus bei Betroffenen. Nach der Kritik am System dürfen auch die Betroffenen selbst einmal kritisiert werden. Auch sie müssen sich den Realitäten stellen. Viele wollen ihre Rente nicht verlieren. Das ist verständlich und für viele Betroffene ist die Rente eine große Hilfe. Aber man muss manchen auch deutlich machen, dass sie sich damit eine der Möglichkeit berauben, wieder ins Leben zurückzugehen. Ein anders Beispiel: Eine betroffene Grafikerin berichtete, dass sie sich überall beworben hätte, aber niemand hätte ihr eine Stelle angeboten. Eine genauere Befragung ergibt, dass sie vier Bewerbungen abgeschickt hat. In meiner Beratung erkläre ich auch meinen gesunden Klient/innen, dass sie mit 100 Bewerbungen rechnen müssen, um zum Erfolg zu kommen. Und außerdem ergibt sich, dass ihr auf eine ihrer Bewerbungen ein 400-Euro-Job angeboten wurde. Das wurde von ihr und den Umsitzenden als Beleg empörender Diskriminierung angesehen. Wieso?, frage ich als Karriereberaterin. Dann hatte sie doch zu 25% Erfolg. Und warum nicht mit einem 400-Euro-Job beginnen, um Erfahrung zu bekommen und in ein Unternehmen hineinzukommen? Das müssen doch viele Menschen ohne psychische Erkrankung ebenfalls? Das ist nicht ideal, aber vielleicht ein Anfang? Als Schwierigkeiten auf dem geschützten Arbeitsmarkt höre ich immer wieder, dass die Arbeit sehr eintönig sei und oft nicht qualifikationsadäquat. Bei der Arbeit wird soziale Kompetenz nicht gefordert, bei Konflikten lässt man die Dinge laufen. Supervision oder Coaching on the Job wurde von Vielen gewünscht.
Und die letzte Hürde: Überfürsorge von Angehörigen. Nachdem ich nun einen Rundumschlag gemacht habe und Alle kritisiert habe, muss ich leider zum Abschluss auch noch uns Angehörige selbst kritisieren. Auch wir sind oft zu stark konzentriert auf das Vermeiden von Krisen. Mit unserer großen Angst vor einem Rückfall kann es sein, dass wir eine Weiterentwicklung unserer Kinder behindern. Was für die Psychiaterinnen gilt, gilt auch für uns: Unsere Sorge um unsere Kinder ist nachvollziehbar, zumal wir ja viel mehr von den Krisen mitbekommen als es die Psychiaterinnen tun. Ich weiß, wovon ich spreche, jahrelang habe ich diese Angst auch gehabt und dachte nur daran, wie meine Tochter geschützt werden könnte. Es gibt Erkrankte, die das brauchen, aber das trifft sicher nicht auf alle Menschen mit Krankheitserfahrung zu. Heute sage ich: Wenn wir unsere krankheitserfahrenen Kinder schützen wollen, dann sollten wir alles daran setzen, dass sie trotz der Einschränkung durch ihre Krisenanfälligkeit in die Lage versetzt werden müssen, ein gutes Leben zu führen. Und dazu gehört Arbeit, wie wir ja heute eindrücklich gehört haben. Vielleicht kommt wieder eine Krise, aber woher wissen wir, dass sie nicht auch käme, wenn die Tochter oder der Sohn sich keiner Anforderung ausgesetzt hätte? Mein Fazit für das Thema Arbeit: Es müssen nicht nur Arbeitsplätze geschaffen und Arbeitgeber von ihren Vorurteilen geheilt werden. Betroffene müssen einen unkomplizierten, unbürokratischen Zugang dazu haben. Und auf dem Weg dahin und im Arbeitsleben selbst müssen sie anhaltend ermutigt und unterstützt werden.