Janine Berg-Peer/ März 27, 2013/ Alle Artikel/ 0Kommentare

01_TagebuchKaum Information und Aufklärung für Angehörige psychisch Kranker

Mir hat niemand erklärt, was Schizophrenie ist. Niemand sagte mir, wie sich die Krankheit bei meinem Familienmitglied auswirken würde, wie die Prognose sein könnte und was man alles dagegen tun kann. Die Diagnose schlug in unser Leben ein wie eine Bombe, nichts  war mehr so, wie es vorher war und – glaubten wir – nichts würde jemals wieder so sein, wie wir es uns gewünscht haben. Niemand hat mir als Angehöriger anfangs erklärt, wie ich mich einem Menschen gegenüber verhalten soll, der an Schizophrenie erkrankt ist. Und ebenso wenig wurde mir gesagt, dass ich auch für mich selbst sorgen müsse, wenn ich für mein Familienmitglied sorgen wolle.

Auch heute kaum Aufklärung

Meine Erfahrungen liegen über 15 Jahre zurück. Aber auch heute scheint die Situation für Angehörige, die gerade von der schlimme Diagnose „psychisch krank“ überwältigt worden sind, nicht viel anders auszusehen. Krankenhausärzte nehmen sich kaum Zeit und die niedergelassenen Ärzte dürfen nicht mit uns Angehörigen psychisch Kranker sprechen. Sagen sie. Wegen der ärztlichen Schweigepflicht. Aber – ich habe mich informiert – diese besagt nicht, dass uns Ärzte keine Information über psychische Erkrankungen geben dürfen. Sie besagt auch nicht, dass uns Broschüren oder Informationen über Beratungsstellen gegeben werden. Und vor allem sagt die ärztliche Schweigepflicht schon gar nicht, dass Ärzte uns Angehörigen nicht freundlich und zugewandt gegenüber sein dürfen, wenn uns die Diagnose mitgeteilt wird.

Wie sollen wir uns verhalten als Angehörige psychisch Kranker?

Am wenigsten Information erhalten wir darüber, wie wir uns unseren erkrankten Familienmitgliedern gegenüber verhalten sollen. Oft wird uns gesagt, wir 03_Forschungmüssten sie liebevoll begleiten, auch wenn es uns schwerfällt. Wenn wir dies aber tun, dann wird uns vorwurfsvoll gesagt, dass wir uns nicht lösen können und damit die Weiterentwicklung des Erkrankten behindern. Und das wissen wir auch: auch unsere erkrankten Familienmitglieder sind nicht immer nur freundlich zu uns. Was immer wir machen, wir machen zu viel oder zu wenig, aber auf jeden Fall nicht das Richtige. Es kann Jahre dauern, bis wir zu „professionellen“ Angehörigen geworden sind. Und das sind Jahre, in denen es uns wirklich schlecht ging, in denen wir oft verzweifelten und nicht mehr weiter wussten.

Mit mehr Aufklärung für Angehörige psychisch Kranker wäre uns sehr geholfen!

Und nicht nur uns, sondern auch den erkrankten Familienmitgliedern. Ich kann nicht verstehen, warum mir niemand sagte, dass die Aggressionen und Feindseligkeiten mir gegenüber Krankheitssymptome sind. Niemand  hat mich über das ausufernde Geldausgeben informiert. Niemand hat mir erklärt, wann ich für den Kranken da sein muss und wann ich mich abgrenzen soll. Und vor allem hat mir niemand gesagt, dass ich auch etwas für mich tun muss: Meine Freunde nicht vernachlässigen, in Urlaub fahren oder Essen gehen.

02_BuecherMir wäre viel erspart geblieben, wenn Ärzte gleich zu Beginn der Krankheit ein ausführliches Informationsgespräch mit mir geführt hätten. Anderen Angehörigen geht es ähnlich. Oder, ich wage es gar nicht auszusprechen, wenn sie auch in der Zwischenzeit ab und zu für mich da gewesen wären. Aber das dürfen wir wohl gar nicht fordern.

Dennoch habe wir seit eigen Jahren auch junge, engagierte und zugewandte Ärzte erlebt. Ich setze auf sie.

Bildnachweise: © w.r.wagner / pixelio

 

 

 

 

Über Janine Berg-Peer

Wir bieten monatlich kostenlose Online-Gruppen für Angehörige an. Jeder kann sich anmelden. Termin finden Sie weiter oben im Blog. Alle zwei Monate bieten wir auch englische Online-Gruppen an. Janine: Seit 65 Jahren bin ich Angehörige: Meine Mutter litt an einer bipolaren Erkrankung und meine Tochter erhielt vor 28 Jahren die Blitzdiagnose (zehn Minuten) Schizophrenie. Kurz danach einigten die Profis sich darauf, dass sie an einer bipolaren Erkrankung leidet. Wir hatten gemeinsam schlechte, aber mehr gute Zeiten. Selten sind Menschen mit Krisengefährdung ja immer krank. Henriette: Heute "leide" ich gar nicht mehr an meiner bipolaren Erkrankung. Nein, sie ist nicht weg, aber mir geht es gut mit einer kleinen Dosis an Medikamenten und einem sozialen und sozialpsychiatrischen Netzwerk, das mich stützt. Ich arbeite seit über zehn Jahren als Genesungsbegleiterin, zunächst als ambulante Betreuerin, jetzt seit drei Jahren im Krankenhaus, was mir sehr viel Spaß macht. Dazu gehören auch Workshops mit Polizei, Angehörigen oder auch Pflegeschüler:innen. Gemeinsam unterstützen wir jetzt sei drei Jahren Angehörige. Wir berichten von unseren guten und schlechten Erfahrungen und beraten sie oder geben ihnen Hinweise, die sie übernehmen können oder eben nicht. Ich als Betroffene freue mich schon lange wieder am Leben, an meiner Arbeit, meinen Freund:innen und an meinem Kater Giacometti. Ich lese gern, höre sehr gern Musik und liebe Filme. Janine: Auch ich freue mich trotz allem immer noch am Leben, lese viel, liebe meinen Kater Basquiat, Rosen, Opern und Countertenöre, japanische und koreanische Filme . Gemeinsam schreiben wir an unserem neuen Buch für Angehörige, in dem wir versuchen, ihnen besser verständlich zu machen und warum manche Betroffene tun, was sie tun und wie Angehörige sich Graf einstellen können, um möglichst viele nutzlose Konflikte zu vermeiden. Arbeitstitel bislang: "Mensch Mama, mach Dir nicht ständig Sorgen um mich!"

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