Lesung „Schizophrenie ist scheiße, Mama!“ in Berlin am 26.7.13
Meine Tochter ist nun schon zwei Woche im Krankenhaus, aber da sie noch nicht 18 ist, entscheiden die Ärzte, dass sie in der Jugendpsychiatrie besser aufgehoben ist. Hier eine Kostprobe aus meinem Buch:
Vierzehn Tage nach ihrer Krankenhauseinweisung entscheiden die Ärzte, dass Lena in die Jugendpsychiatrie verlegt werden muss. Sie entscheiden, ich werde nicht gefragt. Dr. W. bittet mich zu einem Gespräch. „Wir haben entschieden, dass Lena in die Jugendpsychiatrie gehört. Die nächsten vier Wochen dürfen Sie keinen Kontakt zu Ihrer Tochter haben, Lena soll jetzt zur Ruhe kommen. Sie muss eine zeitlang vor familiären Einflüssen geschützt werden. Sie dürfen sie weder besuchen noch sie anrufen oder ihr schreiben. Sie braucht eine optimale Umgebung. In der Jugendpsychiatrie wird man sich sehr gut um sie kümmern.“
Das nennt man Kontaktdiät, lerne ich später. Ich bin keine optimale Umgebung für meine Tochter? Leider glaube ich das sofort. Die Ärzte wirken so ernst und überzeugt, sie machen sich wirklich Sorgen um Lena. Wenn sie sagen, dass ich den Heilungsprozess störe, kann ich mich dem doch nicht entziehen. Aber trotzdem bin ich unglücklich.
„Wieso soll ich vier Wochen lang Lena nicht besuchen und sie nicht mal anrufen? Sie freut sich doch jedes Mal, wenn ich komme. Ich kann sie doch nicht im Stich lassen, sie ist ohnehin schon wütend auf mich, weil ich sie in die ‚Irrenanstalt’ gebracht habe, und jetzt darf sie doch nicht das Gefühl bekommen, dass ich mich gar nicht mehr um sie kümmere.“
Dr. W. guckt mich nachdenklich an. „Es ist uns aufgefallen, dass Sie eine sehr symbiotische Beziehung zu Lena haben und das ist für psychotische Menschen gar nicht gut. Jedes Mal, wenn Sie kommen, umarmen Lena und Sie sich und küssen sich. Das ist doch für eine normale Mutter-Tochter-Beziehung ungewöhnlich.“
Ungewöhnlich? Ich bin erstaunt. Natürlich umarmen und küssen wir uns. Wie sollten wir uns denn sonst begrüßen? „Ich kenne das in unsere Familie gar nicht anders, wir küssen und umarmen uns immer. Meine Mutter als Französin hätte es sehr merkwürdig gefunden, wenn wir ihr nur die Hand geschüttelt hätten “
Ich ernte einen ernsten Blick. „Haben Sie nicht erzählt, dass auch Ihre Mutter manisch-depressiv war?“
Das stimmt. Ich werde unsicher. Hat sich die Veranlagung zur psychischen Erkrankung in unserer Familie schon durch derartige Rituale gezeigt? War das Umarmen und Küssen ein Krankheitssymptom? Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass in der Psychiatrie nicht nur die Patienten beobachtet und diagnostiziert werden, sondern ich als Mutter ebenfalls. Und dass kulturgeprägte Vorstellungen des Arztes über richtiges und falsches Verhalten in das Urteil mit eingehen. In meiner jetzigen Situation scheue ich davor zurück, Dr. W. zu widersprechen. Wenn ich ihn verstimme, verübelt er Lena diese Mutter und behandelt er vielleicht weniger freundlich.
Aber wenn ich diesen blassen, ernsten Mann mit den dünnen Lippen betrachte, denke ich mir, dass ihm ein paar Umarmungen und Küsse in seiner Jugend vielleicht ganz gut getan hätten.
Beim nächsten Besuch gehe ich mit ausgestrecktem Arm auf Lena zu und reiche ihr die Hand. „Mama, was ist los? Bist du böse auf mich?“ Lena ist verwirrt. Ich schließe sie in die Arme – aller negativen Auswirkungen symbiotischer Mutter-Kind-Beziehungen zum Trotz. Vielleicht kann eine „gesunde“ Distanz zum eigenen Kind auch dann aufrechterhalten bleiben, wenn man sich bei der Begrüßung in den Arm nimmt.
Lesung „Schizophrenie ist scheiße, Mama!“ in Berlin am 26.7.13
Die Lesung findet in der statt in der Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie in Berlin
Grunewaldstrasse 82, 10823 Berlin, Tel. 78950036, info@apk-berlin de.
Die Lesung ist kostenfrei und öffentlich. Ich freue mich auf viele Zuhörer/innen und eine anregende Diskussion.
Ich bedaure, dass Ihnen mein Buch nicht gefällt. Aber das ist so bei Büchern, sie werden immer Menschen finden, denen der Inhalt zusagt und Menschen, die andere Meinungen vertreten. Ihnen persönlich wünsche ich alles Gute und vor allem, dass Sie genau den Weg für sich finden oder vielleicht bereits gefunden haben, der für Sie der Richtige ist.
Ich selbst werde weiterhin immer für meine Tochter da sein und wünsche Ihnen ebenfalls, dass Sie die Unterstützung finden und die Gesprächspartner, die Sie sich wünschen.
Alls Gute für Sie und herzliche Grüße,
Janine Berg-Peer